von Beate Weirich
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Seufzend rollt Sonny sich in ihrem Körbchen zusammen. Der Tag war gut. Echt gut!
Heute morgen war sie mit ihrem Frauchen am Donnersberg. Sie haben eine lange Wanderung gemacht und unterwegs gegessen. Nicht bloß die trockenen Futterknödel, die sie sonst dabei hat, sondern Hühnerfleisch mit Suppengemüse.
„Weil heute Weihnachten ist“, hat sie gesagt.
Als sie am Abend nach Hause kamen, hatte das Herrchen von ihrem Hundekumpel Aramis eine große Portion frisches Rinderhackfleisch mit Reis vorbereitet.
„Weil heute Weihnachten ist“, hat er gesagt.
„Hoffentlich ist morgen wieder Weihnachten“, grunzt Sonny, aber Aramis schläft schon tief und fest. Sie scharrt ihre Decke zurecht, kuschelt sich hinein und schließt die Augen. Doch von einer Sekunde auf die andere ist sie wieder hellwach. Da ist ein Geräusch, das nicht hierher gehört. Nicht um diese Zeit. Nicht, wenn alle, die hier wohnen, in ihren Betten liegen. Unten im Hausflur tapsen fremden Pfoten über das Laminat. Es sind nicht die Samtpfoten der Katzen, die eigentlich im Stall wohnen und nicht die winzigen Füßchen der Mäuse, die sich manchmal in den Hausflur verirren, sondern Hundepfoten. Irrtum ausgeschlossen!
Zum Glück hat Herrchen die Schlafzimmertür nicht ganz zugezogen. Zwischen Tür und Rahmen klafft ein Spalt, der für Sonnys Nase gerade breit genug ist. Sie schiebt, der Spalt wird größer. Sie nimmt die Pfote zu Hilfe, schiebt noch einmal die Nase hinein und dreht den Kopf zur Seite. Knarzend schwingt die Tür auf. Sonny lauscht. Sie hört nur die regelmäßigen Atemzüge der schlafenden Mitbewohner. Die Luft, die der warme Kamin zu ihr herauf-weht, riecht nicht nach fremdem Hund. Vielleicht hat sie das Tapsen nur geträumt.
„Es schadet nichts, trotzdem nachzuschauen.“ Sie schlüpft aus der Tür, schleicht den Flur entlang und die Treppe hinunter.
Die Wohnzimmertür, die nachts normalerweise zu ist, steht offen. Ein schwacher Lichtschein fällt auf den Flur. Hat Herrchen vielleicht vergessen, die Kerzen in dem Strauß aus Tannenzweigen und Christrosen auszublasen? Oder brennt im Kamin noch das Feuer?
Vorsichtig schiebt Sonny ihren Kopf um die Ecke. Vor dem Sofa, das sie mit Frauchen teilt, steht eine schwarze Hündin, die ihre Decke beschnuppert. Mit den großen Ohren und der langen, spitzen Schnauze sieht sie fast wie eine kleine Wölfin aus. Sonny versucht, die Witterung aufzunehmen, aber anstelle einer Duftnote scheint das nachtschwarze Fell nur ein schwaches Leuchten auszuatmen. Sie sträubt ihre Nackenhaare, um wenigstens ein bisschen beeindruckender auszusehen.
„Wer bist du?“, brummt sie die Hündin an. „Und was hast du hier zu suchen?“
„Ich heiße Shannara, aber du kannst Sharra zu mir sagen.“ Die Fremde schaut sich nicht einmal nach ihr um. Sie scheint genau zu wissen, wer hinter ihr steht. „So nennen mich meine Freunde.“
„Ich weiß nicht, ob ich deine Freundin sein will, wenn du mitten in der Nacht hier hereinschleichst und herumschnüffelst.“
„Die Menschenfrau, die du Frauchen nennst, war viele Jahre lang meine beste Freundin. Sie mag dich, und ihre Freunde sind auch meine Freunde.“
„Gehörst du etwa auch zu uns?“ Verlegen leckt sich Sonny über die Schnauze. „Und wo warst du die ganze Zeit? Frauchen hat mir nie erzählt, dass sie zwei Hunde hat.“ Sie schielt nach ihrem Sofa. Vielleicht erwartet die fremde Hündin, dass sie es mit ihr teilt.
„Keine Sorge, kleine Freundin.“ Sharra wendet sich zu ihr um, öffnet das Maul und lässt ihre Zähne blitzen. Es sieht so aus, als würde sie lachen. „Ich lebe schon seit vielen Jahren auf der anderen Seite der Regenbogenbrücke. Das Sofa musst du nur mit deinem Frauchen teilen, und den Platz in ihrem Herz teile ich gerne mit dir.“
„Die andere Seite der Regenbogenbrücke? Wo ist das?“ Auf einem ihrer Spaziergänge haben sie erst vor kurzem einen Regenbogen gesehen. Er war so zart und durchscheinend, als hätte man ihn mit Wasserfarben an den Himmel gemalt. „Ich wusste gar nicht, dass man auf einem Regenbogen laufen kann.“
„Die andere Seite der Regenbogenbrücke“, wiederholt Sharra, „ist unendlich weit weg und ganz nah. Wer allein auf dieser Seite zurückbleibt, glaubt, dass es ein Abschied für immer ist. Aber alle, die über die Regenbogenbrücke gegangen sind, wissen, dass sie nicht mehr als ein Atemzug oder ein Lidschlag von ihren Lieben trennt. Und an manchen Tagen öffnen sich die Grenzen zwischen den Welten.“
„Bist du hier, weil heute Weihnachten ist?“ Sonny legt den Kopf schief und schaut die nächtliche Besucherin aus großen Augen an. „Bist du ein Weihnachtsgeschenk aus dieser anderen Welt?“
„Das Geschenk bist du.“ Die schwarze Hündin leckt ihr übers Gesicht, als wäre sie noch ein Welpe, und ihre Zunge ist kühl wie der Wind aus den Bergen. „Hör niemals auf, unsere Menschenfreundin liebzuhaben und sag ihr, dass ich niemals aufhören werde, am anderen Ende der Regenbogenbrücke auf sie zu warten. Auf dich warte ich natürlich auch, und wenn du vor ihr kommst, zeige ich dir schon mal alles, was es dort zu entdecken gibt.“
„Oh ja, bitte.“ Sonny liebt es, neue Dinge zu entdecken. „Wenn ich das nächste Mal einen Regenbogen sehe, komme ich dich besuchen, um mir alles anzusehen.“
„So eilig ist es nicht.“ Die schwarze Hündin zeigt wieder ihre Zähne. „Genieß die Jahre mit deinem Frauchen. Egal wie viele es sein mögen, wenn sie vorbei sind, wird es euch so vorkommen, als wären sie viel zu schnell vergangen. Aber wenn du willst, kannst du mich in deinen Träumen besuchen. Nicht nur an Weihnachten …“