Reisebericht von Anke Reitzenstein
Am Samstag, den 22.10.2016, betrete ich nun endlich, gemeinsam mit meiner Tierschutzfreundin Andrea, das Tierheim in La Linea.
Ich helfe diesem Tierheim nun schon seit einigen Jahren bei der Vermittlung der Hunde und nehme selber einige im Jahr von dort in Pflege und hatte ehrlich gesagt, immer ein wenig Angst vor diesem Moment. Denn ich halte mich für sehr emotional angreifbar und habe mich daher vor einem solchen Besuch immer gedrückt. Doch als ich vernahm, dass auch andere SALVA-Mitglieder mitkommen wollten, buchte ich sofort einen Flug nach Spanien in der Hoffnung, dass ich in einer Gruppe die nötige Unterstützung haben würde. Doch wie es das Schicksal manchmal so will, wurde aus der Gruppe eine Zweierkombi und ich fasse mir ganz tapfer ein Herz, denn nun gibt es kein Ausweichen mehr.
Unser Weg führt uns also an diesem noch recht warmen Morgen pünktlich um 10:00 Uhr erstmal ins Katzenhaus, denn ich möchte den lieben Jesus endlich in die Arme nehmen. Da ich seit Anfang des Jahres nun auch Katzen helfe, ein schönes Zuhause zu finden, ist Jesus immer mein Ansprechpartner. Da er nirgends zu finden ist, fragen wir uns mit Händen und Füssen durch, denn es wirkt auf den ersten Blick alles chaotisch und unübersichtlich dort. Doch dieser Eindruck legt sich bereits nach ein paar Minuten. Klar, überall ist eine unfassbare Geräuschkulisse, weil überall Hunde in Zwingern den Besuch der unbekannten Eindringlinge mit ihrem Gebell kommentieren, doch daran werden wir uns jetzt eh gewöhnen müssen. Denn dieser Lärmpegel wird uns für die nächsten zwei Tage ständig begleiten. Er ist manchmal so ohrenbetäubend laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen kann, was den Stresslevel des Öfteren immens erhöht. Da tut es gut, die Tür vom winzig kleinen Katzenhaus hinter sich schließen zu können und nur vereinzeltes Maunzen zu vernehmen.
Die Menschen hier tun ihr Möglichstes, dass es den Tieren so gut wie irgend geht. Doch es fehlt an Zeit und Geld, um noch mehr zu erreichen. Die Katzen leben momentan alle in winzig kleinen Käfigen und ich bekomme das erste Mal schon Tränen in den Augen. Es sind sehr viele Babykatzen, die kaum Platz haben in ihrem momentanen Zuhause und von daher bin ich sehr glücklich, dass wir 7 von ihnen auf unserem Rückflug mitnehmen können.
Nachdem wir uns in aller Ruhe im Katzenhaus umgesehen haben und versichert bekamen, dass die Katzen hier nicht auf ewig so beengt sitzen sollen, wollen wir nun auch zu den Hunden.
Aber dafür brauchen wir jemanden, der weiß wo wer sitzt. Denn hier in La Linea befinden sich ca. 600 Hunde, die wie in einem endlos wirkenden Labyrinth in verschiedenen Gängen in unübersichtlich vielen Zwingern sitzen. Es ist ein wirres Sammelsurium an Gängen und die Geräuschkulisse ist wirklich nervenzerreißend.
Da kommt auch schon Lidia um die Ecke! Sie hat lange in Deutschland gelebt und kann daher unsere Sprache und, was das wunderbarste ist, sie kennt so gut wie alle Hunde und wird uns nun für die restlichen vier Stunden durch die Zwinger begleiten. Ohne sie wären wir hier hoffnungslos verloren, da die Menge der Hunde uns einfach erschlägt und wir uns ja auch einige gezielt anschauen sollen. Denn es gibt ja Teammitglieder, die nicht hier sind und sich nur per Fotos und Videos in den einen oder anderen verguckt oder ein tolles Zuhause für ihn gefunden haben und nun wissen wollen was unser Eindruck von dem jeweiligen Hund ist. So fangen wir langsam an die Zwinger zu betreten.
Die Zwinger direkt neben den Katzen lassen uns schon die Tränen in die Augen schießen, sitzen allein hier schon so viele bezaubernde Hunde.
Ich entdecke einen kleine Yorkie mit einer riesigen Wunde am Rücken und einen Bodegueromix mit eindeutigen, aber bereits verheilten Bisswunden am Hals und….„meine” Quieta und den bezaubernden Jerezano, der auf ca. 7 Jahre geschätzt wird. Ich möchte jetzt schon alle am liebsten mitnehmen. Dabei bin ich doch erst im allerersten Zwinger.
Dass die Hunde durch ihre Pisse und Kacke laufen, die überall am Boden liegt und uns danach fröhlich anspringen ist der erste Schock für uns. Bin ich doch zuhause mehr als pingelig, was Geruch und auch das Anspringen angeht. Hier ergibt sich das ganz schnell von allein, denn wir haben ja eh keine Chance. Schon nach einer Viertelstunde stinken wir wie alle hier, sind von oben bis unten voller dunkelgrüner Kackflecken und ergeben uns unserem Schicksal. Denn die Hunde brauchen uns und wollen unsere Aufmerksamkeit und die sollen sie auch bekommen. Dabei stellen wir fest und dieser Eindruck wird uns die ganze Zeit in La Linea begleiten, dass es vor allem um die Aufmerksamkeit geht, die die Hunde fordern, unsere Leckerlies sind ihnen im Vergleich zu den Schmuseeinheiten völlig wurscht.
Ich fühle mich nach dem vierten Zwinger schon überfordert, denn ich kann die Hunde schon kaum mehr erinnern, die im ersten saßen. Ich möchte doch keinen jemals wieder vergessen!
Es wird nicht besser, denn wir kommen an kleinen, dunklen Zwingern vorbei auf der Suche nach einem kleinen Bodeguero, der zum Katzentest soll. Lidia betritt den Zwinger und alle sechs Hunde stürzen sich auf sie. Sie ahnen wohl schon, dass einer das Glück hat, kurz frische Luft und Freigang zu erhalten. Doch der betreffende Bodeguero ist völlig überfordert von dem vermeintlichen Glück, denn dieses Privileg wird von wütendem Gebell aus allen umliegenden Zwingern begleitet. Der kleine Kerl kann nicht anders als sich auf den Boden ducken und hoffen, dass alles schnell vorbei geht. Von fröhlich an der Leine mitlaufen kann nun nicht die Rede sein. Es ist nirgends Platz und wir können auch nicht ausweichen. Also wird er kurzentschlossen auf den Arm genommen, was bei seinen mindestens fünf Kilo Übergewicht für Lidia auch nicht gerade die leichteste Übung ist.
Die vier Stunden vergehen wie im Flug und Andrea und ich verlassen das Tierheim, um mit ein paar anderen Deutschen, die zu Besuch sind und dem Tierheimleiter Peter und seiner Frau essen zu gehen.
Wir sitzen beide wie paralysiert am Tisch und versuchen krampfhaft, das Erlebte, allem voran die emotionale Betroffenheit, nicht allen helfen zu können, den Gestank und die wahnsinnige Geräuschkulisse zu verarbeiten.
Um am nächsten Tag wieder um 10:00 Uhr im Tierheim aufzuschlagen. Auch an diesem Tag kommen ständig Menschen, um entweder ein Tier zu adoptieren oder aber welche abzugeben. Überall werden Tiere gefunden….streunende, ausgesetzte Hunde, Katzenbabies, deren Mutter gerade überfahren wurde, etc.
Ich heule schon wieder als ein kleiner dunkelgrauer Struppi abgegeben wird, weil er sich in seinem Zuhause nicht anständig benommen hat, er hat dort wohl zu viel gebellt….seine Augen sprechen Bände, er weiß eindeutig, was ihm blüht und ich kann ihm nicht helfen. Ebenso wenig wie den meisten Anderen hier, das macht mir total zu schaffen. Das ich feststelle, dass ich viel ignoriere, die dunklen engen Zwinger und auch die traurigen Augen, die stumpfen Blicke, es sind sooo viele….
Wir besuchen die zwei traumatisierten Rüden im Quarantäneblock, weil meine Freundin, die nur Angsthunde zum Training nimmt, mich darum gebeten hat. Vorher sind wir noch kurz in einem anderen Zwinger bei einem Chimix, der auch zum Katzentest soll. Der Hund ist bei weitem kleiner als mein Kater und schreit nur als wir versuchen ihn anzufassen.
Ob er da nun jemals rauskommen wird? Ich wage es nicht weiter zu denken.
Die beiden traumatisierten Rüden hocken stumpf in ihren Plastikschüsseln, der eine hat sich seit sechs Monaten dort nicht rausgewagt, ein Bild des Elends und der Verzweiflung tut sich vor meinen Augen auf. Ob meine Freundin ihnen helfen wird? Ich kann es nur hoffen. Die Beiden wurden von einer Engländerin im Welpenalter gefunden und sie hatte es nie geschafft, die großen Griffonmischlinge von ihrer Angst zu befreien und sah sich dann, als es wieder zurück nach England ging, gezwungen, sie aufgrund dieser nicht vorhandenen Kompatibilität im Tierheim abzugeben. Dort sitzen sie nun fest und sind völlig desorientiert und sehr gestresst. Nun kann ihnen erst recht nur noch ein erfahrener Hundetrainer den Weg ins Leben zeigen. Ich werde sie nicht vergessen, das habe ich mir geschworen, dazu hat mich der Anblick zu sehr geschmerzt.
Nach einer kurzen Zigarettenpause geht es weiter, glücklicherweise jetzt in einen Welpenzwinger. Wir sind ergriffen von dieser unberührten Fröhlichkeit und ich möchte gar nicht mehr gehen, sondern lieber nur kraulen und lachen. Die Welpen sind so aufgeweckt und lebendig, das tut einfach gut in dem ganzen Elend. Ich wünsche ihnen allen ein baldiges Zuhause, damit sie sich diese Lebensfreude bewahren dürfen. Denn nachdem wir auch Hunde besucht haben, die im Tierheim groß geworden sind und nun schon sechs Jahre oder sogar länger dort leben, hat sich meine Meinung über die Dringlichkeit von Welpenadoption grundlegend geändert. Wie sich überhaupt alles gerade neu bewegt in meinem Hirn. Denn mir wird hier vor Ort unweigerlich vor Augen geführt, dass es nur an uns Menschen liegt, was mit den Tieren geschieht. Das war mir natürlich auch schon vorher bewusst, aber einfach längst nicht so schmerzhaft. Denn auch ich habe diesen Teil unseres Daseins einfach weggeblendet, weil ich ihn ja nicht vor Augen hatte. Und nun bin ich hier und blende wieder aus, weil ich es sonst nicht ertragen könnte, doch das möchte ich gern.
Pastori, Capuchino, Sofia, Samson, Jerezano und Bambi, ich hab euch alle gesehen und verspreche euch, dass ihr bald ein besseres Leben haben werdet, denn ich hole euch da raus!!
Es sind noch so viele andere, denen ich das auch so gern versprechen würde, aber wenn jeder von uns ein oder zweimal im Jahr dort hinfährt und das dann nur sechs Hunden verspricht und sich dann daran hält, sieht die Welt für alle schon ganz anders aus…